Gibt es genug Strom für Elektroautos?
Felix Bahr
Elektroautos gelten neben Fahrspaß und Fortschritt als besonders emissionsarm und somit umweltverträglicher als Verbrenner – aber nur unter der Voraussetzung, dass sie mit nachhaltig produziertem Ökostrom fahren. Macht Sinn. Aber woher kommt der Strom für die Verkehrswende? Und: Gibt es genug Strom für Elektroautos?? Eine Zusammenfassung des aktuellen Strombedarfs und des Anstiegs erneuerbarer Stromerzeugung.
Entwicklung des Strombedarfs – Höhepunkt bereits 2007 erreicht
Wie viel Strom wird aktuell überhaupt verbraucht? In den letzten 30 Jahren hat sich der Strombedarf in Deutschland nicht viel verändert. Man kann sogar sagen, dass er relativ konstant geblieben ist. Eine Grafik des Umwelt Bundesamts zeigt, dass der Bruttostromverbrauch seit 1990 stets über 500 Terawattstunden lag und nur zeitweilig die 600er-Marke überschritten hat. Zur Verdeutlichung:
- In den Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands erhöhte sich der Stromverbrauch mit steigender Wirtschaftsleistung stetig bis 2007.
- 2007 wurde mit 624 Terawattstunden bislang der meiste Strom verbraucht.
- Die Finanzkrise von 2008/ 2009 führte dazu, dass die Industrie weniger Strom benötigte. Somit sank der Bedarf erstmals.
- Nach einem kurzen Anstieg durch die Nachholeffekte der Wirtschaft stieg der Verbrauch 2010 zwar wieder an, fiel jedoch anschließend mit leichten Schwankungen abwärts.
Entwicklung: 30 Jahre Stromverbrauch in Deutschland
Seit 2010 ist das Ziel der Bundesregierung, den Stromverbrauch langfristig zu senken. In ihrem Energiekonzept heißt es daher:
„Wir streben an, bis 2020 den Stromverbrauch gegenüber 2008 in einer Größenordnung von 10 % und bis 2050 von 25 % zu vermindern.“
Konnte das erste Ziel bislang erreicht werden? Ja, und zwar sogar mit einem Rückgang von 11 Prozent. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass der Stromverbrauch 2020 coronabedingt weniger war. Der Verbrauch stieg im Folgejahr wieder leicht an und verfehlte das Ziel der Bundesregierung um 2 Prozent.
Zukünftig wird Deutschland voraussichtlich mehr Strom benötigen. Grund dafür werden die Effekte der Sektorkoppelung sein. Dafür soll statt fossiler Energieträger nun mehr Strom aus erneuerbaren Energien für Wärmebereitstellung und Antriebsenergie genutzt werden.
Side Fact:
Deutschland verbraucht von allen europäischen Ländern aktuell insgesamt am meisten Strom. Weltweit sind wir sogar auf Platz neun. Den meisten Strom verbraucht hierzulande die Industrie mit ca. 44 Prozent, private Haushalte sind mit 26 Prozent am Gesamtverbrauch beteiligt.
Gibt es genug Strom für Elektroautos?
Langfristig sollen Verbrenner aus dem Straßenverkehr verschwinden. Im Idealfall fahren dann also knapp 45 Mio. Pkw im Strom – und die müssen alle geladen werden. Reicht die eigene Stromproduktion dafür aus?
Das Netz wird definitiv nicht gleich zusammenbrechen, nur weil jedes Jahr mehr Stromer laden. Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts zum Thema „Batterien für Elektroautos: Faktenchek und Handlungsbedarf“ stiege die Stromnachfrage um ca. 20 Prozent, wenn alle Fahrzeuge elektrisch fahren würden. Das verlangt nach ca. 110 TWh mehr Strom pro Jahr. Dass so viele E-Autos von heute auf morgen laden müssten, ist jedoch nur Theorie. Wenn nach ernsthaften Prognosen 2030 wirklich ca. 10 Mio. Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sind, erhöht sich die Stromnachfrage nur um ca. 3 bis 4,5 Prozent – also insgesamt knapp 30 TWh. Wichtig an dieser Stelle: Im Jahr 2020 wurde ein Stromüberschuss von 18 TWh exportiert. Damit hätten theoretisch bereits 6 Mio. E-Fahrzeuge betrieben werden können. Ebenfalls darf man nicht vergessen:
- Strom wird über Beleuchtung, Gebäude und Geräte immer effizienter genutzt
- die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien wird stetig ausgebaut
- weniger Verbrenner heißt auch mehr Stromeinsparungen
Generell müssen wir in naher Zukunft, was eine ausreichende Stromversorgung für Elektroautos betrifft, also nicht mit größeren Problemen rechnen. Dass es nicht genug Strom für E-Autos gibt, ist nur ein weiterer E-Auto-Mythos.
Keine Verbrenner: Strom für Elektromobilität einsparen
Benzin und Diesel wachsen nicht an der Zapfsäule und kommen auch nicht fertig aus dem Boden. Sie müssen gefördert, verarbeitet, transportiert und gelagert werden. Auf dem Weg vom Roh-Öl bis in den Tank wird an jeder Schnittstelle im Prozess Strom benötigt. Zum Beispiel hier:
- Die Treibstoffherstellung in der Raffinerie braucht Strom, um die Anlagen zu steuern – laut des Department of Energy aus den USA sogar rund 1,585 kWh Strom für einen Liter Kraftstoff.
- Der Transport von der Raffinerie zur Tankstelle durch Pipelines und Güterverkehr benötigt ebenfalls Strom.
- Selbst an den Tankstellen ist Strom für Zapfsäulen, Pumpen und Beleuchtung notwendig.
Beispielrechnung: Verbrenner vs. E-Auto
Gäbe es keine Verbrenner, könnten an diesen Stellen Unmengen an Strom eingespart und zum Betrieb von E-Fahrzeugen genutzt werden. Bei einem Durchschnittsverbrauch von 7 Litern auf 100 Kilometern ergibt sich ein Stromverbrauch für die Herstellung von Kraftstoff von ca. 11 kWh. Ein Stromer könnte damit bereits 80 Kilometer fahren. Oder anders: Tankt ein Verbrenner 50 Liter Benzin, wurden dafür allein bei der Herstellung 75 kWh Strom benötigt. Ein elektrischer Kleinwagen kann damit bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 15 kWh auf 100 Kilometer bereits 500 Kilometer Strecke zurücklegen.
Beispielrechnung: Pipeline vs. E-Auto
Der Stromverbrauch einer Raffinerie allein zum Transport für Öl durch eine Pipeline beträgt 100 GWh im Jahr – Beispiel der südeuropäischen Pipeline von Marseille in das Rhein-Neckar-Gebiet. Der durchschnittliche Stromverbrauch eines E-Autos liegt bei 18 kWh pro 100 Kilometer. Bei einer Fahrleistung von 13.000 Kilometer im Jahr werden also knapp 2.300 kWh benötigt. Ein Vergleich beider Verbrauchswerte zeigt: Der jährliche Strombedarf einer Pipeline könnte auch den von ca. 44.000 E-Fahrzeuge decken.
Sollte die gesamte Bevölkerung also stetig auf Stromer umsteigen, wird der zusätzliche Strombedarf durch E-Autos gar nicht so groß wie vermutet. An anderer Stelle wird dann nämlich Strom eingespart. Die effizientere Nutzung von Strom, beispielsweise durch einen höheren Anteil an erneuerbaren Energien oder Kraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), führt ebenfalls zum Rückgang des Stromverbrauchs.
Side Fact:
KWK-Anlagen nutzen (anders als gewöhnliche Kraftwerke) Energie doppelt, um so Strom und Wärme zu erzeugen. Die bei der Stromerzeugung entstehende Wärme wird hierfür in das Fernwärmenetz eingespeist. Das Prinzip dient als Brückentechnologie für die Energiewende.
Strom für Elektromobilität aus erneuerbaren Energien
Der wachsenden Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch läuft parallel zur Steigerung der E-Mobilität. Mittlerweile werden bereits mehr als 40 Prozent des gesamten Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien wie Wind oder Solarkraft generiert.
Laut einer Pressemeldung Nr. 374 des Statistischen Bundesamts sogar 48 Prozent im ersten Halbjahr 2022.
Strommix in Deutschland: konventionelle vs. erneuerbare Energieträger
Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch stieg in den letzten stetig an und verdrängt zunehmend fossile Kraftwerke – ohne dabei die Versorgungssicherheit zu gefährden.
Entwicklung des Anteils erneuerbarer Energien
2007 wurde erstmals mehr Strom aus regenerativen Energien als aus Erdgas erzeugt. Laut Klimaprogramm der Bundesregierung soll der Anteil regenerativer Energien am Bruttostromverbrauch bis 2030 auf 65 Prozent und bis 2050 auf 80 bis 95 Prozent steigen. E-Autos spielen eine entscheidende Rolle bei der Erreichung unserer Klimaziele – ihre Klimabilanz hängt jedoch vom verwendeten Ladestrom ab. Wird beim Ladevorgang nur Ökostrom verwendet, reduziert sich der CO2-Fußabdruck von E-Fahrzeugen auf bis zu 75 Prozent gegenüber Verbrennern. Das Fraunhofer Institut fand in einer Befragung zum Laden mit Ökostrom heraus, dass:
- 84 Prozent der E-Mobilisten einen Ökostrom-Vertrag besitzen
- 81 Prozent der Fuhrparks einen Ökostrom-Vertrag nutzen
- der vertraglich vereinbarte Ökostromanteil an öffentlichen Normalladestationen in Deutschland bei mindestens 85 Prozent und bei öffentlichen Schnellladestationen bei mindestens 75 Prozent liegt
Ist Ökostrom teurer als normaler Strom?
Die Bundesnetzagentur verglich im Jahr 2021 über 1.200 Stromlieferanten auf dem deutschen Markt. Unterm Strich war Ökostrom im Schnitt pro Kilowattstunden sogar einen Cent günstiger als konventioneller Strom. In einem Solar- oder Windpark nachhaltig Strom erzeugen ist mittlerweile günstiger als in einem Kohlekraftwerk. Es gab also nie bessere Zeiten, um auf Ökostrom umzusteigen.
Fazit zum Strom für Elektromobilität
Egal wie schnell oder langsam die Zahl an Elektroautos auf deutschen Straßen zunimmt, es werden jedenfalls keine Unmengen an zusätzlichem Strom benötigt. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass der Stromverbrauch tendenziell sogar abnimmt. Gleichzeitig wird bei einem Umstieg von Verbrenner auf E-Auto Strom durch weniger benötigtes Benzin Strom eingespart. Aktuell wird knapp die Hälfte des Stroms in Deutschland nachhaltig erzeugt. Verstärkt E-Mobilisten nutzen Ökostromverträge, umso umweltfreundlich wie möglich mobil zu sein.